Lieber Leser,
die Wahl ist gelaufen, die Piraten haben den Einzug in den Bundestag nicht geschafft – und nun ist es Zeit für meinen ganz persönlichen Rückblick auf den Wahlkampf.
Ich glaube, es war Anfang des Jahres, als mein Mann mich fragte, ob ich damit einverstanden sei, dass er für die Piraten für den Bundestag kandidiert. Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht und sehr lange darüber nachgedacht, bevor ich im März mein Einverständnis gab. Allerdings knüpfte ich daran eine Bedingung: Wenn ich merke, dass die Kinder darunter leiden, ist Schluss.
Oli kandidierte, wurde auf Listenplatz 2 gewählt und war natürlich mächtig stolz! Ich auch, das gebe ich gern zu.
Während des Wahlkampfes zur Kommunal- und Kreistagswahl im Frühjahr brachte Oli sich schon sehr in den Wahlkampf ein. Er war viel unterwegs, hat Infostände organisiert und bemannt, geflyert, Plakate aufgehängt, war fast jeden Abend im Mumble, jede Woche zum Stammtisch … es war eine anstrengende Zeit, aber es war zu meistern, auch für die Kinder und mich.
Diesen Sommer wurde es nun Ernst: Der Wahlkampf zur Bundestagswahl ging in die heiße Phase. Oli war unheimlich viel unterwegs. Abends war er so gut wie gar nicht mehr zu Hause und auch an den Wochenenden war er sehr viel unterwegs, immer im Auftrag der Piraten. Oli kümmerte sich um alles: Infostände organisieren, flyern, Kaperbriefe in Briefkästen stecken, Plakate aufhängen (und heute wieder abhängen), kaputte Plakate austauschen, Presseanfragen beantworten, Wahlprüfsteine mitschreiben, in der Woche vor der Wahl Aufkleber für die Zweitstimmenkampagne organisieren und auf die Plakate kleben, Podiumsdiskussionen, Stammtische, Kryptopartys … die Liste ließe sich noch nahezu endlos fortsetzen.
Seit Mitte August hat er Urlaub – wenn man das denn Urlaub nennen kann. Er hatte fast jeden Tag mindestens einen Termin, war außer Haus oder saß an seinem Schreibtisch im Mumble, immer bis tief in die Nacht. Wenn er mal um Mitternacht ins Bett kam, war das früh. Ich habe mit angesehen, dass er immer müder wurde und immer älter aussah, und ich fing an, mir Sorgen zu machen.
Während all dieser Wochen war ich quasi alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern. Unser großer Sohn hat in diesem Sommer seine Schulkarriere begonnen, unser kleiner geht in den Kindergarten. Alles, was mit Kindern, Haushalt, Garten zusammenhing, war bei mir – von morgens um 6, wenn wir aufstanden, bis abends um 8, halb 9, wenn der letzte Zwerg endlich einschlief. Wenn unsere Kinder es nicht gewohnt wären, dass ich tagsüber mal auf dem Sofa sitze und Handarbeiten mache, hätte ich nicht mal diesen Ausgleich gehabt.
Ja, ich hätte Oli auch gern noch aktiv unterstützt, aber mit Kindern geht das einfach nicht. Ende August war ich fix und fertig und hätte am liebsten das Handtuch geschmissen. Doch da war das Ende in Sicht, und dieses Licht am Ende des Tunnels gab mir Kraft, durchzuhalten. Und auch unseren Kindern, vor allem dem Großen, gab es Kraft. Wir alle fieberten dem 22. September entgegen.
Die ganze Zeit über war ich Realist genug, um zu wissen, dass die Piraten die 5%-Hürde nicht schaffen würden. Trotzdem habe ich Oli all den Freiraum gelassen, den er für den Wahlkampf brauchte, damit er sich hinterher keiner Vorwürfe machen konnte im Sinne von: „Wenn ich noch das-und-das hätte machen können, dann …“.
Der 22. September war gestern und die Piraten haben bundesweit 2,2% bekommen und damit den Einzug in den Bundestag nicht mal knapp verpasst.
*****
Anfang des Jahres haben wir, mein Mann, unsere Kinder und ich, uns auf das Abenteuer „Bundestagskandidatur“ eingelassen. Dieses Abenteuer ist jetzt vorbei und mein erster Gedanke ist ganz klar: NIE WIEDER! Diesen Stress tu ich mir nicht noch einmal an. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht auch noch arbeiten musste, sonst wäre hier bestimmt viel aus dem Ruder gelaufen. So konnte ich glücklicherweise sehr viel auffangen.
ABER: Ich weiß nicht, wie es in 4 oder 8 Jahren aussieht. Dann sind die Kinder älter und verständiger. Wir haben in diesem Wahlkampf sehr viele Erfahrungen sammeln können, die in der Zukunft berücksichtigt werden können. Falls wir uns noch einmal auf solch ein Abenteuer einlassen, werden wir es bestimmt besser planen können. Denn dieses Mal konnten wir nichts planen und/oder vorbereiten, weil wir schlicht und ergreifend gar nicht wussten, was auf uns als Familie zukommt. Jetzt wissen wir es und sind gewappnet.
MEIN FAZIT: Eine anstrengende, stressige Zeit liegt hinter uns, die uns sehr viel abverlangt hat. Und doch möchte ich diese Erfahrung nicht missen. Ich habe in dieser Zeit viele nette Menschen kennengelernt, insbesondere auf unserer Gartenparty Ende Juli, als wir den Startschuss für den Wahlkampf gegeben haben. Ich persönlich habe die Piraten als ehrliche, bodenständige und offene Menschen kennengelernt, die sich nicht mit Gegebenheiten abfinden wollen, sondern etwas bewegen möchten. Die Piraten, die ich kennenlernen durfte, sind vielschichtig, interessant, neugierig und, vor allem, sie haben Visionen, für die sie kämpfen. Und solange das so bleibt, bin auch ich eine Piratenbraut – wenn auch ohne Parteibuch und ohne offizielle Funktion. Ich bin eine von denen, die es hinter den Kulissen möglich machen, dass „die anderen“ im Vordergrund aktiv werden können.
Related Images: